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Beitrag vom 08.03.2013
Der 4. Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung verschweigt so Einiges
Nele Herzog
Die neue Kommunikationsstrategie der Mächtigen verschweigt die eigentliche Dramatik der Lage. Nicht nur der Deutsche Frauenrat äußerte vehemente Kritik an einer Zensur, hinter der offenbar Angst...
...vor Forderungen nach entsprechenden Lösungsansätzen steckt.
Sobald der im Vier-Jahres-Takt erscheinenden Zusammenfassung deutscher Einkommensverteilung im November 2012 veröffentlicht worden war, hatten auch Opposition, Sozialverbände und der Deutsche Gewerkschaftsbund ihren Unmut darüber laut gemacht, dass etliche, die Entwicklungen negativ kommentierende Äußerungen gestrichen worden waren.
Sechs Monate nachdem Bundesministerin für Arbeit und Soziales Ursula von der Leyen (CDU) das ca. 500 Seiten lange Dokument erstmalig der Bundesregierung vorgelegt hatte, trat sie nun am 6. März vor versammelte PressevertreterInnen, um die Ergebnisse des beschlossenen Berichtes vorzustellen. In der Zwischenzeit hatte Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler(FDP) sich dagegen gewehrt, dass verschiedene Ergebnisse in der Endfassung geschönt, einige sogar gänzlich herausgestrichen wurden. Sie entsprächen nicht der Wirklichkeit und Meinung der Bundesregierung, könnten "den Eindruck vermitteln, es würde den Menschen schlecht gehen, wir hätten soziale Unruhen, was auch immer (...)", wie er auf Tagesschau.de zitiert wird, ihre Streichung und Verbesserung ist also Rösler zufolge gerechtfertigt gewesen.
Streichung und Schönung
Ein konkretes Beispiel für die vorsätzliche Umkehrung einer negativen Tatsache in eine besser-klingende, eher leere Aussage, liefert der Vergleich zwischen folgenden Angaben. In der ersten Fassung von November lautete die Zusammenfassung über die grundsätzliche Lage der Einkommensverteilung in Deutschland im Berichtszeitraum von 2007 bis 2011 noch:
"Die Einkommensspreizung hat zugenommen."
Dieser Satz beschreibt eindeutig eine Öffnung der altbekannten Schere zwischen Arm und Reich und damit eine Verschlechterung der Situation für alle Menschen in Deutschland. In der aktuellen Version wurde der Sinn des Satzes ins Gegenteil verkehrt, behauptet stattdessen an dieser Stelle:
"Die Ungleichheit der Einkommen nimmt derzeit ab."
Angeblich hätten wenige Wochen nach dem ersten Entwurf des Berichtes neue Zahlen aus einem "sozioökonomischem Panel" gezeigt, dass die Ungleichheit in Deutschland in Wahrheit sinke und der Trend sich schon zwischen 2005 und 2006 gewendet habe, die ForscherInnen nur ihre Zeit gebraucht hätten um sich über diese Trendwende im Klaren zu werden, so die Frankfurter Allgemeine.
Fraglich ist hierbei, ob eine Umfrage unter gerade einmal 20.000 Menschen eine positive Trendwende so detailliert voraussagen kann, dass sich diese auf die Entwicklung der gesamtdeutschen Einkommensverteilung übertragen ließe und sie realistisch voraussagen kann. Zusätzlich ist eher anzunehmen, dass die Werte sich nicht nach jahrelangem Sinken plötzlich ins Positive kehren, sondern eher stagnieren, was nicht unbedingt eine Verbesserung der Situation bedeutet, sondern lediglich einen Stillstand verzeichnet. Um davon abzulenken, dass die Situation offenbar immer noch nichts mit einem Idealzustand zu tun hat, stattdessen aber eine Lücke für irrelevante Relativierungen zu lassen, wurde an anderer Stelle der Satz "Die Privatvermögen in Deutschland sind sehr ungleich verteilt" komplett aus dem Text gestrichen.
Relativierung und Auslassung
Diese Beispiele sind bezeichnend für die Streichungen und Schönungen im gesamten Bericht und die Art, wie von der Leyen die Entwicklungen auf der Pressekonferenz zusammenfasste. Sie sprach von einer grundsätzlichen Verbesserung im Berichtszeitraum, wies ebenfalls darauf hin, dass seit 2005 die Arbeitslosenzahlen stagnieren würden, eine Seitwärtsbewegung stattfände, was vor allem an den guten Tarifbeschlüssen und den gestiegenen Haushaltseinkommen der unteren 40% der Haushalte läge. Dass der arbeitslose Sektor der Bevölkerung größtenteils aus Frauen besteht und diese noch immer nicht gleichgestellt mit Männern der Arbeitswelt gegenübertreten können, stattdessen oft nur als Teile eines Haushaltes, Geringverdienerinnen ohne Aufstiegschancen oder durch ihre Kinder behinderte, unflexible Aushilfskräfte in die Statistiken eingerechnet werden, bleibt völlig unberücksichtigt.
Ministerin von der Leyen nennt weiterhin die Viertel Millionen Kinder, die in Hartz IV-Familien aufwachsen weniger als Erfolg, während der Bericht gleichzeitig verschweigt, dass im Jahr 2012 über vier Millionen Menschen in Deutschland für nur sieben Euro die Stunde gearbeitet haben. Selbst wenn die Eltern dieser Kinder neu erwerbstätig sind, können sie ihre Familien mit derart niedrigen Löhnen wohl kaum ernähren. Die Tatsache, dass gerade Alleinstehenden der Stundenlohn oft nicht für den Lebensunterhalt reicht, wird im Bericht verharmlosend zusammengekürzt, als den "sozialen Zusammenhalt schwächend" und die "Armutsrisiken verschärfend" angesehen.
Weiterhin fehlende Chancengleichheit
Vor allem die Situation von Frauen, gerade alleinerziehender Mütter, in traditionellen Frauenberufen ist unter diesem Gesichtspunkt als dramatisch einzuschätzen, weil es weiterhin "anerkannt" bleibt, in diesen Wirtschaftssparten niedrige Löhne zu zahlen "und die Unternehmen damit Milliarden an Löhnen und Sozialabgaben einsparen", so der Deutsche Frauenrat in einer Stellungnahme zur Veröffentlichung des Armutsberichtes.
Der Frauenrat bedauert in dieser Instanz außerdem, dass die Bundesregierung es nicht geschafft hat, die Ergebnisse des vor zwei Jahren beschlossenen Gleichstellungsvertrages in den aktuellen Armutsbericht mit einzubeziehen. Konkret gemeint ist damit die Verwirklichung fairer Rechtsgrundlagen, um eine Chancengleichheit in Lebensläufen sichern zu können. Statt Daten und Lebenslagen von einem ethischen Gesichtspunkt her zu erfassen, konzentriert sich die Analyse auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Subjektes. Die unterschiedliche Einkommensverteilung würde in dieser Tradition auf verschiedene Lebensentwürfe zurückgeführt, der Bericht baut sich also auf der Annahme auf, dass eine private Entscheidung für oder gegen Wettbewerbsteilnahme über GewinnerInnen und VerliererInnen im Wirtschaftszirkus Arbeitsmarkt entscheidet. Dies stellt eine grundlegende Fehleinschätzung der Bedeutung von Arbeit für deutsche Menschen bloß.
"Der Bericht beschönigt in unerträglicher Weise die soziale Lage in diesem Lande, er ist ein Armutszeugnis." So die Vorsitzende des Deutschen Frauenrates, Hannelore Buls.
Unterm Strich
Entgegen der Botschaft die von der Leyen verlauten ließ, ist es für die Deutschen nicht als gute Nachricht zu verstehen, dass einige der Berichtsergebnisse im Zeitraum 2007 bis 2011 stagnierten. Im Vergleich des aktuellen Armuts- und Reichtumsberichtes mit seinem Vorgänger aus dem Jahr 2008, lassen sich keine positiven Veränderungen für Alleinstehende, Arbeitslose und gesundheitlich eingeschränkte Personen, Familien und Bürger_Innen mit Migrationshintergrund ausmachen. Nötig wäre seitens der Bundesregierung eine Rückbesinnung auf die Pflicht, Chancengleichheit auf dem Arbeitsmarkt aktiv zu fördern, um eine auf lange Sicht faire Einkommensverteilung zu erreichen.
Dass "soziale Unruhen" als Folge negativer Nachrichten eher förderlich für ein Land sind, in denen es sogar sehr vielen Menschen noch vergleichsweise schlecht geht, ist ebenfalls eine Tatsache, dessen Erkenntnis Philipp Rösler und vielen anderen mächtigen Politiker_Innen nicht schaden könnte.
Weitere Informationen:
Der vollständige Bericht sowie die Pressekonferenz sind im Internet auf www.bmas.de einsehbar.
Stellungnahme des Deutschen Frauenrates
Weiterlesen auf AVIVA-Berlin:
3. Reichtums- und Armutsbericht
Equal – Pay – Day – Kampagne 2013
Quellen:
Tagesschau.de
Frankfurter Allgemeine